Dein Vergnügen ist mein Leid!

Letzten Sommer stand ich mit mehreren anderen Patienten vor der Praxis meines Hausarztes, um dem stickigen Wartezimmer zu entkommen und wartete darauf, endlich aufgerufen zu werden. Eine Frau kam mit einer schwer atmenden Englischen Bulldogge vorbei. Der Hund zog zielsicher Richtung Hauswand und ließ sich ächzend in den Schatten fallen. „Ist heute nicht sein Wetter“, meinte die Frau sich rechtfertigen zu müssen. Ich konnte mir nicht verkneifen, ihr zu antworten: „Das liegt wohl weniger am Wetter als an der fehlenden Nase.“ Empört zog die Frau den armen Hund aus dem Schatten und ging weiter. „Das müssen wir uns nicht sagen lassen. Du hast so ein süßes Näschen, Charlie.“
Das mag sein. Ist nur schade, dass Charlie durch seine süße – kaum vorhandene – Nase keine Luft kriegt und während des morgendlichen Spaziergangs bei angenehmen 25°C fast kollabiert.
Warum hast du denn so eine kleine Nase?
Warum hast du denn so hervorstehende Glupschaugen?
Warum hast du denn so einen kurzen Kiefer und schiefe Zähne?
Warum hast du denn so herunterhängende Augenlider und gerötete Augen?
Damit ich so aussehe, wie du es gerne hättest! Weil der Mensch es so will. Weil er den melancholischen Hundeblick so mag. Weil das faltige Gesicht so süß ist.
Möppie ist süß, aber sein Leben ist ziemlich bitter!
So wird so manche Fellnase schon als Pflegefall geboren. Wie kann das sein? Ist Qualzucht nicht in Deutschland verboten?
Der Paragraph 11B des Tierschutzgesetzes verbietet die Zucht von Tieren bei denen:
- erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten
- mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten,
- jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt
- die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt
Das soll jetzt geändert werden. Im Februar dieses Jahres wurde der Entwurf für die geplanten Änderungen des Tierschutzgesetzes veröffentlicht.
Wird jetzt alles besser?
Das ist zumindest fraglich! Einige Vorschläge, wie die Regulierung des Online-Handels und das Vorgehen gegen den illegalen Welpenhandel, sind sehr sinnvoll. Auf der anderen Seite sind einige der neuen Vorgaben zur Verhinderung von Qualzucht zu unbestimmt und lassen einen großen Interpretationsspielraum zu. Der VDH geht sogar davon aus, dass die neuen Vorgaben „das Ende vieler gesunder Hunderassen in Deutschland bedeuten könnte.“
Beispiel gefällig? Ein Kriterium ist die „Verringerung der Lebenserwartung“. Was zunächst sinnvoll klingt, schließlich möchte jeder eine möglichst lange Zeit mit seinem Hund verbringen, entpuppt sich, wenn man genau darüber nachdenkt, als schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Wie soll eine Verringerung der Lebenserwartung festgestellt werden? Eine definitive Aussage kann man erst zum Zeitpunkt des Todes machen. Okay, man könnte einen Durchschnittswert berechnen. Ergebnis: Alle Hunde, die zu den großen Rassen gehören würden unter dem Durchschnitt liegen. Sind sie deshalb automatisch eine Qualzucht? Sollen dann Doggen, Irischer Wolfshund und Co. verboten werden?
Ein weiteres Kriterium, dass nicht präzise genug ist, lautet: „Anomalien des Skelettsystems“. Eine Anomalie ist eine Abweichung vom Normalen. Aber was ist in diesem Fall „normal“? Oder andersherum: Ist jede Abweichung vom Ur-Vater Wolf automatisch eine Anomalie? Bedeutet das, dass die moderate Brachycephalie eines Boxers darunter fällt? Oder die relative Kleinwüchsigkeit des Dackels oder Jack Russell Terriers? Oder die abfallende Rückenlinie des Hochzucht Schäferhundes?
Wie konnte es überhaupt passieren, dass der Hund vom Arbeitstier zum kranken Modehund mutiert ist?
Es wurden zunehmend immer weniger Hunde zum Ziehen von Lasten, zum Hüten, zum Jagen etc. gebraucht. Die Masse der Hunde sind arbeitslos geworden. Stattdessen wurde Hundehaltung zur Liebhaberei. Im Zuge der Rassehundezucht wurde auch das Ausstellungswesen etabliert und so rückte das Aussehen der Hunde mehr und mehr in den Vordergrund. Und so kam es bei einigen Rassen auch zu Übertypisierungen.

Werfen wir doch mal einen Blick auf den Deutschen Schäferhund. Für Rittmeister von Stephanitz, dem Begründer der Rasse, galt: „Gebrauchstüchtigkeit ist das einzige Kriterium für Schönheit.“ Ob er sich wohl im Grabe umdreht, wenn er den heutigen Hochzuchtschäferhund sehen würde?
Will ich damit sagen, dass dieser Teil der Schäferhund-Population Qualzucht ist? Nein, aber es gibt Leute, die sehen das so. Sie setzen die abfallende Rückenlinie mit Krankheiten wie Cauda Equina und Hüftgelenksdysplasie gleich. Vor kurzem gab es ein Porträt des Deutschen Schäferhundes bei „Tiere suchen ein Zuhause“. Dort äußerte sich Tierarzt Dr. Unna folgendermaßen: „Das Züchten einer abfallenden Rückenlinie ist per Definition Qualzucht. Führt im Übrigen auch zu Leistungseinschränkung, die Tiere sind nicht mehr voll leistungsfähig.“

Das Thema Qualzucht wird nicht mehr von der Agenda verschwinden und das ist auch gut so. Allerdings sollte dabei auch nicht übers Ziel hinausgeschossen werden. Der VDH hat deshalb eine Petition gestartet, um klare und fundierte Regelungen zu finden. Bisher wurden schon über 40.000 Unterschriften gesammelt. Wenn du die Petition unterstützen möchtest, kannst du das unter folgendem Link tun:
Der Teufel steckt im Detail! Bist du gegen Qualzucht? Die Frage beantwortet jeder verantwortungsvoller Hundefreund mit „JA“. Aber Regelungen müssen umsetzbar und so spezifisch sein, dass sie nicht weit übers Ziel hinausschießen. Auf der anderen Seite: Veränderungen müssen sein! Klare und nachvollziehbare Regelungen zum Wohl des Hundes!